(Achtung: diese Arbeit ist auch als PDF-Datei mit Endnoten und Quellenangaben verfügbar,
leider sehen die Screenshots darin miserabel aus, daher hier ausnahmsweise noch die gezippte DOC-Datei)

Ghost Dog noir

(Jeff Costello)(Jeff Costello)
(Jeff Costello)/(Ghost Dog)

Einleitung

 

Zwischen 1940 und der Mitte der fünfziger Jahre entstanden in den amerikanischen Filmstudios Werke, für die 1946 zum ersten Mal vom französischen Filmkritiker Nino Frank der Begriff "film noir" geprägt wurde. Frank fasste damit eine Reihe von "schwarzen Filmen" zusammen, "deren Hauptanliegen nicht mehr darin liegt, herauszufinden, wer das Verbrechen begangen hat, sondern zu beobachten, wie sich der Held verhalten wird" . Erst zwei Dekaden später wird dieser Begriff durch die Rezeption der französischen Filmtheorie in die USA gelangen und sich im Nachhinein an einer Genredefinition versuchen.

Bis heute dauert die Diskussion in der Fachliteratur an, ob es sich beim film noir um ein Genre oder eine Bewegung handelt und welche Kriterien diese Kategorisierung unterstützen. Im Folgenden wird diese Auseinandersetzung außer Acht gelassen und die Annahme gemacht, dass sich in den 40er und 50er Jahren ein amerikanischer film noir entwickelt hat, dessen Elemente bis heute weiterentwickelt und verwendet werden. Inwiefern hier nun "neo noir" oder "film après noir" die bessere Bezeichnung ist , wird auf die Betrachtungen keine Auswirkungen haben, vielmehr wird ein zeitgenössischer Film auf seine ästhetischen und inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit dem "klassischen" film noir hin untersucht.

Jim Jarmuschs Film "Ghost Dog - The Way of the Samurai" (1999) ist bisher wie auch die anderen Filme des Independent-Regisseurs kaum in der Filmwissenschaft beachtet worden . Der daraus resultierende Mangel an zitierbaren Quellen ist als Anlass zu sehen, "Ghost Dog" nicht direkt auf den film noir zu beziehen, sondern einen kurzen Umweg über den Film "Le Samuraï" (1967) des Regisseurs Jean-Pierre Melville zu machen, dessen Werk, wie gezeigt wird, eine inhaltliche und filmästhetische Vorlage für Jarmuschs moderne Samurai-Geschichte war.

 

 

Le Samuraï und der "French Film Noir"

 

Trotz des französischen Ursprungs des Begriffes "film noir" sind die schwarzen Filme, wie bereits angedeutet, vorerst ein amerikanisches Phänomen . Auf den Diskurs der Berechtigung einer "Genre"-Bezeichnung "French Film Noir" kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden. Exemplarisch sei ein Zitat aus Robin Buss Buch "French Film Noir" gegeben, das ein gesteigertes europäisches Interesse an düsteren Kriminalgeschichten erklärt: "Europe in the 1930s may not have been confronted with a crime wave on the American scale, but it was addressing questions of social and political morality, the morality of power and the place of the individual in relation to an increasingly oppressive and impersonal state" . Gemeinsam mit Paul Werners Ansicht, dass "die düsteren amerikanischen Kriminalfilme in Frankreich auf einen fruchtbaren, aber unbeackerten Boden" fielen und "genau die Stimmung der Franzosen" ausdrückten, lässt sich eine Lesart für den "French Film Noir" erahnen.

Der französische Film "Le Samuraï" wird in der Filmwissenschaft oft gemeinsam mit dem amerikanischen "This Gun for Hire" (1942) genannt , der als "echte" film noir-Vorlage für Melvilles Werk gilt. Beide Filme ähneln sich inhaltlich sehr stark: Ein Auftragsmörder gelangt auf die Abschussliste seines Auftraggebers und trachtet nach Rache. Nach einer Odyssee auf der Flucht durch die Unterwelt sterben beide Protagonisten durch die Waffe eines Fremden - Raven "without bitterness" , Melvilles Held würdevoll durch den Freitod in einer Jazzbar.

Auch auf bildlicher Ebene gibt es eindeutige Überschneidungen, so tragen Raven (Alan Ladd) und Jeff Costello (Alain Delon) die gleiche stereotypische Kleidung, die von Borsalino & Trench stammt.

(Alan Ladd in "This Gun for Hire")	(Alain Delon in "Le Samuraï")
(Alan Ladd in "This Gun for Hire")/ (Alain Delon in "Le Samuraï")

Auffällig ist neben der äußerlichen Ähnlichkeit beider Schauspieler, der eindrucksvolle Gesichtsausdruck. Dieser starre Blick, der in "This Gun for Hire" einem "engelgesichtigen Killer", in "Le Samuraï" einem "eiskalten Engel" zugeschrieben wird , trägt in beiden Filmen zur Entfaltung einer noir-typischen düsteren Atmosphäre bei.

 

 
noir en couleur

 

Interessant gestaltet sich die Frage, ob ein Farbfilm wie "Le Samuraï" schon aus formalästhetischen Gründen überhaupt als "film noir" bezeichnet werden kann. Zwar bezeichnet das Wort "noir" nicht nur die Schwarz-Weiß-Kontraste klassischer Werke der Schwarzen Serie, dennoch assoziiert man vordergründig Schwarzweiß-Filme mit dem Begriff. Nicholas Christopher vertritt die Ansicht, dass auch Farbfilme in einer Art produziert werden können, dass sie letztendlich schwarz-weiß wirken: "some films in color ... in such a way that they still feel like black-and-white films" . Besonders hebt Christopher den Einsatz von Orange-Tönen hervor. Während Schwarz und Weiß kalte Schatten werfen, erzeugen Orange-Töne eine Farbgebung, die letztendlich an Grautöne erinnert. Schaut man sich Melvilles Werk unter diesem Aspekt an, kann man die trotz des verwendeten Farbfilms entstandene kühle optische Atmosphäre erklären. Der Film "schmiert" ein wenig mit Gelb- und Orangetönen, die an alte Sepia-farbene Aufnahmen erinnern. Farbe und Schwarz-Weiß schließen sich von ihrer Wirkung her also nicht aus.

 

 

Samurai noir

 

Welche Rolle spielen Dunkelheit und Schwarz in den Samurai-Fiktionen? Im klassischen film noir wendete man sich von einer realistisch wirkenden Ausleuchtung ab und konzentrierte sich auf die Erzeugung eines dunklen Bildes. Unter Verwendung des "low key" Verfahrens mit Spitzenlichtern wurde ein kontrastreiches, schattiges Bild erzeugt, dass die düstere noir-Atmosphäre visualisierte.

Melville und Jarmusch zitieren diese Optik nur an einigen Stellen. Während Costello sich noch in den oben bereits erläuterten Orange- und Gelb-Tönen bewegt, die als ein Substitut für die low key-Kontraste gesehen werden können, ist die Ausleuchtung in "Ghost Dog" sehr realistisch. Die Nachtszenen sind die naturgemäß dem film noir ähnlichsten Einstellungen.

(Costello ungesehen in der Jazzbar) (Ghost Dog ungesehen auf der Straße)
(Costello ungesehen in der Jazzbar) /(Ghost Dog ungesehen auf der Straße)

Beide Protagonisten agieren im Dunkel der Nacht, um sich ungesehen ihren Opfern zu nähern. Während Costello als Schattenumriss in der Hintertür einer Bar verschwindet, gleitet Ghost Dog unbeachtet mit nur einigen Zentimetern Abstand an Passanten vorbei.

(Ghost Dog nachts)
(Ghost Dog nachts)

In "Ghost Dog" scheint die Nacht nicht mehr Aussage, sondern Mittel zum Zweck zu sein. Jarmusch zitiert sie, Ghost Dog nutzt sie. Zitate auf bildlicher Ebene und Schattenrisse der Darsteller sind hier rar. Ein Erklärungsversuch kann darin liegen, dass Jarmusch, der in den 80er Jahren die Schwarz-Weiß-Ästhetik zum Beispiel in "Down by Law" noch einsetzte, andere Mittel des Ausdrucks sucht. Die Sehgewohnheiten der Zuschauer ändern sich und Filme wie "The Man Who Wasn't There" (2001) der Cohen-Brüder wirken mit ihrer bildlichen Ästhetik heutzutage eher absurd . Der moderne Film muss sich also anderer Mittel bedienen um beim Zuschauer eine ähnliche Wirkung wie beim klassischen film noir in den 40er und 50er Jahren hervorzurufen.

 

 
Filmische Zitate

 

Recht schnell lassen sich in "Ghost Dog" viele inhaltliche und gestalterische Zitate aus dem französischen Vorbild finden. Jarmusch bewegt sich hier zwischen dem detailgetreuen Nachempfinden, ironischen Anspielungen und Weiterentwicklungen der inhaltlichen und ästhetischen Motive.

Beide Auftragsmörder müssen zu Beginn der Filme einen Wagen stehlen. Costello steigt hierfür unter den Augen eines Polizisten in einem fremden Wagen ein und probiert der Reihe nach die Schlüssel eines grotesk wirkenden, überdimensionierten Schlüsselbundes durch, bis der Wagen anspringt. (Es sei hier auf eine leicht sexuelle Konnotation der Gesichtssprache Delons, des "zärtlichen" Probierens und des erlösenden Anspringen des Motors aufmerksam gemacht.)

(Costellos Schlüsselbund)(Ghost Dogs Fernbedienung)
(Costellos Schlüsselbund)/(Ghost Dogs Fernbedienung)

Ghost Dog hat den Diebstahl technisch überholt - mittels eines kleinen schwarzen Funksenders öffnet er in Sekundenschnelle Wagentüren und lässt die Motoren anspringen. Es wirkt cool wie er widerstandslos den Besitz über fremdes Eigentum übernimmt.

(Costellos Wagen in der Werkstatt)(Ghost Dog wechselt die Nummernschilder)
(Costellos Wagen in der Werkstatt)/(Ghost Dog wechselt die Nummernschilder)

Prinzipiell ist Ghost Dog der technisch Versiertere der beiden. Costello macht sich nicht die Hände beim Vertauschen von Nummernschildern schmutzig, sondern lässt dies in einer geheimen Werkstatt erledigen. Ghost Dog hingegen wechselt auf einem Parkplatz eigenhändig und unauffällig die Nummernschilder mit einem nebenstehenden Familienwagen aus.

Zwischen Costello und Ghost Dog besteht rein äußerlich kaum eine Gemeinsamkeit. Während Costello von der Kleidung und Ausstrahlung her dem film noir respektive "This Gun for Hire" sehr nahe steht, fallen beim modernen und überdies noch farbigem Jarmusch-Samurai kaum Gemeinsamkeiten auf. Die einzige und sehr auffällige Gemeinsamkeit (neben dem bei "Ghost Dog" durch ein Kapuzen-Shirt ersetzten Hut) zwischen den beiden Protagonisten sind die weißen Handschuhe, die zum Ausführen von Aufträgen getragen werden.

(Costello beim Anziehen der Handschuhe)(Ghost Dog beim Anziehen der Handschuhe)
(Costello und Ghost Dog beim Anziehen der Handschuhe)

Weiße Handschuhe wirken besonders bei Melville wie Zitate aus dem expressionistischen Film, der einen großen Einfluss auf den klassischen noir hatte . Das Tatwerkzeug Hand wirkt hier überdimensioniert und gefährlich. In einer Aufnahme kann man sich an "Nosferatu" (1922) oder "Das Kabinett des Dr. Caligari" (1919) erinnert fühlen. Ein starker Kontrast zwischen dem schwarzen Anzug und den weißen Händen, die sich bedrohlich verkrampft zur Tat erheben, verweist auf die alten Stummfilme. Die befremdlich anmutende Architektur des Wohnhauses von Costello unterstützt diese These. Das französische "Dictionnaire des films" hingegen empfindet die gezeigte Architektur im Film eher der amerikanischen zugehörig: "les escaliers en façade, ornement d'immeuble typiquement américain" . Verzichtet man auf eine Betrachtung des Hausflurs, kann man dieser Argumentation folgen und dem Film eine sehr (film noir typisch) amerikanische Außenarchitektur bescheinigen.

(Costellos expressionistische Hände)(Costello vor seiner Wohnung)
(Costellos "expressionistische" Hände)/(Costello vor seiner Wohnung)

 

 

 

Zwei Samuraigeschichten

 

Melville und Jarmusch lassen ihre Protagonisten gleichermaßen vor dem Ethos des "Bushido", das heißt einer Ethik des japanischen Kriegerstandes, die Treue, Selbstzucht und Mut verlangt , handeln. Beide Filme beginnen mit einem Zitat aus japanischer Lektüre. Während in "Le Samuraï" "Bushido - Das Buch des Samurai" zitiert wird, legt sich in "Ghost Dog" das beeindruckende Werk "Hagakure - Der Weg des Samurai" wie ein roter Faden über den Film.

Bereits im ersten Satz des Buches, das wie ein Hauptdarsteller die Handlung begleitet, wird das Ende von Ghost Dog angekündigt "Ich habe herausgefunden: Bushido, der Weg des Kriegers, liegt im Sterben" . Jarmusch nutzt Zitate des Buchs im Film um kontinuierlich eine Verbindung zwischen der Motivation Ghost Dogs und dem Ethos der Samurai herzustellen.

(Bushido-Zitat in Le Samuraï)(Hagakure-Zitat in Ghost Dog)
(Bushido-Zitat in "Le Samuraï")/(Hagakure-Zitat in "Ghost Dog")

"Le Samuraï" begnügt sich mit nur einem Zitat zu Beginn des Films. Im weiteren Verlauf wird das Wort "Samurai" nicht erwähnt - allein das Verhalten Costellos und der (französische) Titel halten den Ethos beim Zuschauer in Erinnerung. Ist ein Samurai fast so einsam wie ein Tiger im Dschungel, wie es das Zitat behauptet , so ist Costello ein Tiger, der sich allein auf leisen Tatzen durch den Dschungel der Großstadt bewegt und schnell und gefährlich zuschlägt.

Ghost Dog ist ein Samurai. Er liest das Buch "Hagakure", dessen teilweise extremen Anweisungen er als direkten Handlungsleitfaden übernimmt. Die Beweggründe Ghost Dogs werden für den Zuschauer durch die Einblendung der Hagakure-Weisheiten und der Off-Stimme nachvollziehbar. An mehreren Stellen im Film weist Ghost Dog ausdrücklich darauf hin, dass er zu seinen Handlungen gezwungen ist, um den hohen Ansprüchen eines Samurai gerecht zu werden.

Treffend kann hier Paul Werner zitiert werden: "Der typische Held des Film noir ist ein pessimistischer Einzelgänger, der seiner sozialen Umwelt weitgehend entfremdet ist und nicht einmal - wie der Outlaw des Gangsterfilms - in einer kriminellen Gruppe Rückhalt findet. Er vegetiert in der Anonymität der Großstadt, hat keine Freunde, keinen Partner, keine Familie" . Diese Charakterisierung lässt sich auf Costello und Ghost Dog übertragen: Beide sind Einzelgänger in der Großstadt, ihr Verhalten ist nicht lebensbejahend - sie sind einsame Tiger.

 

 

Japanese tough guys

 

Wie lässt sich dieser hart durchgezogene japanische Einfluss mit einem klassisch amerikanischen Genre verbinden? Jarmuschs Samurai ist vielleicht eine neue Form des "tough guy", des typischen Protagonisten der Noir-Klassiker der 40er und 50er Jahre. Es steht außer Frage, dass der "tough guy" mit dem Cowboy verwandt ist. "the cowboy adapted to life in the city streets" schrieb einst Leslie Fiedler - nun scheint auch der Samurai dem "Eastern" entwachsen und in den Dschungel der Großstadt eingetaucht zu sein.

"Treue gegen den Herrn, Waffentüchtigkeit ... und Todesverachtung" , so verlangt es das Bushido von den Kriegern des alten Japans. Obwohl in den klassischen noirs das Motiv der Treue gegen den Herren eher selten vertreten ist, findet sich aber die Treue gegen eigene, höhere Motive. Erinnert sei an Sam Spade, der in "The Maltese Falcon" (1941) die begehrenswerte Mörderin Brigid der Polizei ausliefert, Bestechungsversuche ablehnt und auf Geld weitestgehend verzichtet .

Die Moral und Handlungsweise des tough guy, der mit zweifelhaften Methoden seine Ziele erreicht, lässt sich also mit den zwei modernen Samurai in Verbindung bringen. Wie Raven trachten Costello und Ghost Dog nach Rache. Alle drei verfolgen hart ihr Ziel. Raven schreckt, wie seine Nachfolger, vor Mord nicht zurückt und opfert sein Leben.

Die Selbstsicherheit des tough guy findet sich eher in der Figur des Sam Spade, der sich unnachgiebig und scheinbar herzlos durch den Dschungel der Fakten kämpft, um am Ende des Films den Mord an seinem Partner aufzuklären (dies aber nicht als Akt der Rache sondern, so behauptet er zumindest, um seinen Ruf als Detektiv nicht zu schädigen).

 

 

Eastern - High Noon - Western

 

Wie oben bereits gezeigt, wurde der film noir unter anderem stark vom Western beeinflusst. Melville und Jarmusch haben in einigen Szenen gängige Elemente dieses (im Gegensatz zum film noir leichter bestimmbaren) Genres übernommen.

Obwohl beide Filme über Samurai erzählen, handeln die Akteure oft wie in einem klassischen Western. Das wohl beste Beispiel ist hier die Highnoon-Szene, die optisch erstaunlich gleich aufgebaut in beiden Filmen vorkommt.

(High Noon in Le Samuraï)(High Noon in  Ghost Dog)
(High Noon in "Le Samuraï" (links) und "Ghost Dog" (rechts))

Mit einem Shot über die rechte Schulter sieht der Zuschauer auf den Gegner in einer Duell-Stellung. Es wird zum Schusswaffengebrauch kommen. Während Costello leicht überrascht wird und sich verletzt zurückziehen muss, stirbt Ghost Dog in dieser Situation. Die Kirchturmglocken zu Beginn der Szene und Ghost Dogs verbale Anspielung auf den Western "What's this? High noon?" lassen die Ernsthaftigkeit grotesk erscheinen.

Der Spannung der Situation tut dies kein Abbruch - der Zuschauer weiß, dass Ghost Dog keine geladene Waffe hat. Er schaut ihm beim bewusst gewählten sicheren Weg in den Tod zu. Der unausweichliche Tod - ein wichtiges Leitmotiv des klassischen film noir. Vergleichbar ist hier der langsam verblutende Walter Neff in "Double Indemnity" (1944), dessen Tod sich über den Film durch den größer werdenden Blutfleck abzeichnet. Für den Zuschauer steht nicht mehr die Frage im Vordergrund, ob der Protagonist "es schafft", sondern warum er sterben wirbt.

(Costello wird bedroht)(Ghost Dog bedroht seinen Auftraggeber)
(Costello wird bedroht)/(Ghost Dog bedroht seinen Auftraggeber)

Drohgebärden, Waffen die mit ausgestrecktem Arm auf das Gegenüber gehalten werden um ihn in Schach zu halten - bekannte Motive aus Western, die auch in den zwei Samurai-Geschichten Einzug erhielten.

Auffällig sind die verdrehten Macht-Positionen: Costello kniet zwar aufrecht aber dennoch (würdevoll) demütig vor seinem potentiellen Mörder. Ghost Dog aber kommt nie in eine solche Situation. Er ist der Beherrschende des ganzen Filmes. Niemand bedroht ihn direkt mit Waffe (ohne, dass er es zulässt) - einzige Ausnahme ist die Rückblende.

 

 

Schwarze Vergangenheit, zukunftslos

 

Für Werner unterscheidet den Antihelden des film noir von anderen Protagonisten, dass er sich nicht für den Aufstieg oder die Zukunft entschieden hat, sondern auf die Vergangenheit fixiert ist. Costello kann man zwar nicht als vergangenheits-fixiert bezeichnen, wohl aber schaut er nicht in die Zukunft. Der französische Samurai lebt in einer zeitlosen Welt. Seine karge Wohnung erzählt keine Geschichten, sein Gesicht ist regungslos, aus den Dialogen erfährt der Zuschauer nichts über Vergangenheit oder Zukunft.

Ghost Dog bezieht sein Dasein aus seiner Vergangenheit. In wiederholten Rückblenden erfährt der Zuschauer, dass sein Auftraggeber Louie (John Tormey) ihm einst das Leben gerettet hat, woraus Ghost Dog seine Treue ableitet. Die Verehrung des Samurai-Ethos scheint eine direkte Folge dieses einschneidenden Erlebnisses zu sein. Jede seiner Taten unter diesem Bezugspunkt kann also als rückwartsgewandt interpretiert werden, da ihre Motivation in der Rettung liegt. Er hat wie Costello keine Zukunft. Er lebt zurückgezogen und einsam, lässt sich jährlich bezahlen, strebt nichts an. Der Weg des Samurai ist sein einziges Ziel und genau dieser Weg ist nicht auf die Zukunft ausgerichtet, denn er "liegt im Sterben".

 

 

femme fatale

 

Bei der Untersuchung eines Filmes auf Merkmale eines klassischen film noir darf die "Femme fatale" nicht vergessen werden. Unter einer Femme fatale versteht man eine "erotisch-faszinierende, dämonisch-destruktive Frau" , die zwar keine Erfindung der schwarzen File ist, in ihnen aber ihren künstlerischen Höhepunkt erreicht hat . Sie führt den Mann oft in das moralische Verderben und nicht selten in den Tod. Typische klassische Beispiele sind hier Fritz Langs Meisterwerk "Woman in the Window" (1944) und Billy Wilders "Double Indemnity" (1944). In beiden Werken führen Frauen eher rechtschaffende Männer auf kriminelle Pfade oder verwickeln sie in Morde (die Virtualität in "Woman in the Window" durch die Traumszene am Schluss des Films ändert daran nicht viel).

(die Pianistin)(Brigid)
(die Pianistin)/(Brigid)

Frauen spielen sowohl in "Le Samuraï" als auch "Ghost Dog" eine entscheidende Rolle - auch, wenn dies nicht sofort ersichtlich ist. Betrachtet man beide Handlungsverläufe genauer, offenbart sich, dass in diesen Filmen Frauen für den Tod der Protagonisten verantwortlich sind.

Costello wird die farbige Pianistin zum Verhängnis - sie ist die Einzige, die ihn wirklich als Mörder identifizieren kann. Zwischen beiden entwickelt sich ein merkwürdiges Verhältnis. Sie ist die Schnittstelle zwischen ihm, seinem Auftraggeber und der Polizei. Ihre emotionale Kargheit wird durch ihr minimalistisches Äußeres angedeutet (kurze Haare, japanischer Kimono...). Für Costello wird sie die sprichwörtliche Femme fatale. Vor ihren Augen wird er sterben. Nicht zuletzt, weil sie ihn nach dem Mord gesehen und vor der Polizei gelogen hat...

Eine sehr feminine Rolle spielt Jane Lagrange (Nathalie Delon), zu der Costello ein sehr ambivalentes Verhältnis hat. Sie ist die einzige Person, die ihm etwas näher steht in seiner isolierten Lebensweise. Ein wenig an Rita Hayworth erinnernd mit ihren roten Haaren ist sie die hingebungsvolle Frau, die das Lustprinzip verkörpert. Allein ihr Zimmer mit dem zentralen Bett und der warmen Wandfarbe verströmen eine erotische Atmosphäre wie man sie aus klassischen noirs kennt. Jane ist in der Lage, den Kommissar nach mehreren Warnungen kalt ins Gesicht zu lügen, um Costello zu schützen. Ob sie für ihn mehr ist als eine pragmatische Beziehung bleibt offen. Sie tut hingebungsvoll alles, was er von ihr verlangt, ist aber gleichzeitig die Maitresse eines wohlhabenden Geschäftsmanns. Obwohl sie hingebungsvoll Meineid vor der Polizei leistet, scheint ihr Verhalten dennoch selbstsüchtig. Jane lügt nicht nur, um Costello zu helfen - sie will ihn von sich abhängig machen. Sie gesteht ihm, dass sie es mag, wenn er ihre Hilfe braucht. Mit den Mitteln einer femme fatale - erotischen Reizen und Lügen - kämpft sie um ihn. Letztlich wird es keinem helfen, denn Costellos Schicksal ist bereits besiegelt.

(Louise beobachtet den ersten Mord)(Louise steht an der Spitze des Clans)
(Louise beobachtet den ersten Mord)/(Louise steht an der Spitze des Clans)

Auch Ghost Dog fällt einer tödlichen Kettenreaktion zum Opfer, die eine Frau auslöst. Er bekommt den Auftrag den Liebhaber der schönen Louise Vargo zu ermorden. Diese wird ungewollt Zeugin der Tat. Ihr Vater, der Gangster-Boss Ray Vargo, beschließt den Tod Ghost Dogs für dieses Missgeschick.

Louise jedoch ist kein normales 17jähriges Mädchen. Schon durch die Kleidung wird ihr Auftreten stark erotisiert. Sie erinnert mit ihren unschuldigen Reizen an Lolita. In ihrer ersten Szene trägt sie ein rotes Abendkleid und sitzt lasziv im Sessel. In dieser Pose beobachtet sie fast ungerührt, wie ihr angeblicher Geliebter ermordet wird. Statt eines Gefühlsausbruchs oder sichtlicher Angst, leiht sie Ghost Dog ein Buch. Was hier noch wie eine Schock-Reaktion wirkt, wird sich im Laufe des Films wiederholen: Auch bei der Ermordung ihres Vaters ist Louise anwesend und betont ruhig. Erstaunlich gelassen sieht sie Menschen sterben, die ihr nahe stehen müssten. In ihrer emotionalen Kälte ist sie Ghost Dog ähnlich. Die Verbindung zwischen ihnen schafft das gemeinsame Interesse für japanische Lektüre - symbolisiert durch das Kinderbuch "Rashomon".

Nach Ghost Dogs Tod zeigt sich eine verwandelte Louise: Als Vamp-Girlie dirigiert sie plötzlich edel gekleidet auf der Rückbank einer Limousine den Chauffeur. Der verletzte Louie, der soeben Ghost Dog ermordet hat und auf eine schnelle Flucht drängt, beunruhigt sie nicht. Louise steht nun an der Spitze des Clans, nicht Louie, wie Ghost Dog es vermutet hat. Ihr auffällig kaltes Verhalten ist eher einer Femme fatale zuzurechnen. Sie ist äußerst attraktiv und führt durch ihre bloße Anwesenheit viele Männer in den Tod. Letztendlich ist sie der eigentliche Grund für alle Morde im Film. Ghost Dog opfert für sich für sie. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte er sie dann auch zweimal verschont?

Eine weitere Frau, oder besser ein Mädchen, spielt eine Rolle in "Ghost Dog": die kleine farbige Pearline. Unschuldig wirkt das Mädchen zu Beginn des Filmes. Sie entwickelt mit dem Protagonisten eine Art Freundschaft. Beide tauschen sich über Bücher aus. Ghost Dog diskutiert mit ihr über die Bücher, die sie in ihrer Brotbox mit sich trägt und leiht ihr zum Ende des Films seinen Lebensleitfaden "Hagakure".

(Pearline zielt auf den flüchtenden Louie) (Pearline liest Hagakure)
(Pearline zielt auf den flüchtenden Louie)/(Pearline liest Hagakure)

Es zeichnet sich ab, dass sie Ghost Dog als ihrem Meister folgen wird. Nach der Ermordung Ghost Dogs ergreift sie dessen Waffe und zielt auf den flüchtenden Louie. Durch eine spannende Choreographie wirkt es auf den Zuschauer kurz so, als hätte sie ihn angeschossen - die Waffe ist jedoch nicht geladen. Die kleine bewaffnete Pearline wirkt wie eine Ankündigung einer erwachsenen, gefährlichen Frau. Im "Movie Book of Film Noir" wird das Bild der bewaffneten Frau angesprochen: "In film noir, women posses sufficient phallic power to be shown regularly wielding - and frequently firing - such weapons; and, as can be seen from these few examples, where a woman produces the gun can be a crucial element in the film's symbolic system" - der Zuschauer sieht in "Ghost Dog" ein Zitat dieser noir-typischen phallischen Frau.

 

 

Fazit

 

Jim Jarmuschs "Ghost Dog" ist sicher kein Werk, das als film noir in die Filmgeschichte eingehen wird. Dafür sind die Unterschiede zum klassischen noir, wie zum Beispiel die sehr realistische Farbgebung, die HipHop-Musik und der farbige Hauptdarsteller, zu groß. Dennoch lässt sich durch die Gemeinsamkeiten mit dem französischen film noir "Le Samuraï" eine Interpretationslinie entwickeln, durch die Einflüsse des klassischen film noir sichtbar werden.

Es wurde gezeigt, dass der Charakter des einsamen Samurai in der Großstadt dem hoffnungslosen tough guy sehr nahe ist. Eine wichtige Noir-Figur, die "femme fatale", spielt in "Ghost Dog" eine entscheidende Rolle, wenn auch in einer weiterentwickelten Form. Besonders interessant zeigt sich hier die Untersuchung der Pearline.

Inhaltlich lässt sich "Ghost Dog" sowohl dem französischen film noir ("Le Samuraï") als auch dem klassischen noir ("This Gun for Hire") nahe bringen. Der nach Rache trachtende gejagte Mörder schafft eine noir-typische düstere, hoffnungslose Atmosphäre. Der Tod des Protagonisten ist unausweichlich - der Film "erteilt dem klassischen 'Happy-Ending' ... eine Absage" . Morde werden in "Ghost Dog" nicht per se verurteilt - der Film enthält sich hier einer moralischen Stellungnahme. Voice-Over und Rückblenden schaffen für den Zuschauer sogar die Möglichkeit, sich, wie in "Double Indemnity", mit einem Mörder zu identifizieren .

Die Bildsprache erinnert an einigen Stellen sehr deutlich an Melvilles "Le Samuraï" - weiße Handschuhe und Bildaufbau wurden beispielsweise oft übernommen. Prinzipiell ist "Ghost Dog" aber mit sehr modernen Stilmitteln umgesetzt worden - sicher ein Weg, um den veränderten Sehgewohnheiten der Zuschauer gerecht zu werden. Der Bezug zum French film noir "Le Samuraï" ist evident - nicht zuletzt, weil Jarmusch Melville namentlich in den Credits dankt.

Gemeinsam mit dem klassischen film noir hat Jarmuschs Werk überdies die ungewöhnlichen Kameraeinstellungen (wie zum Beispiel durch ein Abflussrohr) und die vielen nächtlichen Aufnahmen.

Zählt man nun Setting, Stimmung, Charaktere, narrative Mittel, Handlungsmotive und Bildsprache in "Ghost Dog" zusammen, kann man beispielsweise mit Sellmanns "noir-Formel" recht einfach eine Verwandtschaft zum klassischen film noir herleiten. Da dieses Genre nicht klar definiert ist, bzw. nicht einmal geklärt ist, ob es sich um Genre handelt, kann auch ein Vergleich mit "Ghost Dog" nur auf Indizien basieren. Obwohl Jarmuschs Werk also nicht als "film noir" bezeichnet werden kann, lässt sich dennoch eine nachhaltige Beeinflussung durch dieses Genre/ diese Bewegung nachweisen.

 

 
Quellen/Bildnachweise

 

  • BUSS, Robin (1994): "French Film Noir", London u.a. (Marion Boyars)
  • CAMERON, Ian (1992): "Movie Book of Film Noir", London (Studio Vista)
  • CHRISTOPHER, Nicholas (1997): "Somewhere in the night: film noir and the American City", New York (Henry Holt)
  • FOSTER, Hirsch (1999): "Detours and lost highways", New York (Poscenium Publishers Inc.)
  • GUILLEMOT, Michel (Hrsg.) (1999): "Dictionnaire des films", Paris (Larousse)
  • SCHINDLER, Oliver (2000): "Jim Jarmusch Independent-auteur der achtziger Jahre", Alfeld/Leine (Coppi-Verlang)
  • SELLMANN, Michael (2001): "Hollywoods moderner film noir", Würzburg (Königshausen & Neumann)
  • STEPHENS, Michael L. (1961): "Film noir: a comprehensive, illustrated reference to movies, terms and persons", Jefferson (McFarland & Company)
  • WERNER, Paul (2000): "Film noir und Neo-Noir", München (Vertigo)
  • YAMAMOTO, Tsunetomo (2000): "Hagakure", München (Piper Verlag)

Sämtliche 16:9-Screenshots wurden selbständig von den Filmen "Le Samuraï" und "Ghost Dog" angefertigt. Verwendet wurden die deutsche VHS-Version "Der eiskalte Engel" (93 Min) und die DVD-Version "Ghost Dog" (115 Min). Die Bilder wurden nicht nachbearbeitet oder verändert, sondern lediglich auf ihren 16:9-Rahmen zugeschnitten.

Ausnahmen:

Allan Ladd als "Raven" in "This Gun for Hire" - selbstgewählter Bildausschnitt von einer Vorlauge aus CAMERON, Ian (1992): "Movie Book of Film Noir", London (Studio Vista), S. 20

Alain Delon als "Jeff Costello" in "Le Samuraï" - selbstgewählter Bildausschnitt vom Cover der englischen VHS-Version, elektronisch veröffentlicht in der "Internet Movie Database" unter http://us.imdb.com/Title?0062229 [Stand: 7.8.2002]

 

 
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