Referat: Maschinismus/Maschinenphilosophie bei Deuleuze und Guattari
gelesen mit Henning Schmidgen
(Caspar Clemens Mierau)

 
Seminar: Maschinenmenschen, 10.6.2004, Dozent: Cornelius Borck


Vorwort:

Im Folgenden handelt es sich lediglich um die Vorbereitung eines Referats. Fußnoten fehlen also vollständig und die Argumentationskette ist nicht zwingend stringent.


Während Guattari und Deleuze an dieser Stelle sicher nicht noch einmal vorgestellt werden müssen, bietet sich eine kurze Notiz über Henning Schmidgen an, auf dessen Buch „Das Unbewußte der Maschinen“ das folgende Referat zum größten Teil zurückgreift.

Henning Schmidgen ist unter anderem diplomierter Psychologe und war vor seiner wissenschaftlichen Karriere praktisch tätig (ähnlich Guattari und Foucault). Gemeinsam mit seinem philosophischen Hintergrund und dem Fokus auf deutsche und französische Theoretiker und Praktiker ergibt sich ein technikphilosophischer, wissenschaftsgeschichtlicher Ansatz, der besonders im Bereich des Psychischen zu Verorten ist. Schmidgens Ansatz pendelt zwischen der Lektüre wissenschaftlicher Veröffentlichungen, konkreter Untersuchung der technischen Dispositive und Arbeitsweisen bei der Forschung sowie eines Nachfühlens der kommunikativen Kanäle. Im Wintersemester 2001 hielt er das Seminar „Die Geschwindigkeit des Gedankens, 1850-1900“ an der Bauhaus-Universität Weimar.

Historischer Rückblick auf theoretische Vorläufer

Schmidgen streicht heraus, dass bereits seit dem 17. Jh. Modelle des Uhrwerks und des Automaten zur Beschreibung des willentlich Unkontrollierbaren und der menschlichen Eigendynamik dienten. Dies erfuhr vor allem durch die zunehmend über einen längeren Zeitraum selbständig laufenden Automaten Aufschwung.

18.Jh.: Zur etwa gleichen Zeit wie dem Erscheinen von de La Mattries „L’homme machine“ baut der französische Ingenieur Jaques de Vaucansons eine mechanische Ente, die Körner aus der Hand nimmt, schluckt und chemisch „verdaut“, trinkt, paddelt und die Nahrung wieder ausscheidet. Der Descartes’sche Tier-Automatismus, dessen Übersteigerung De La Mettrie unter anderem vorgeworfen wurde, hatte hier bereits ein manifestes Artefakt als Veranschaulichung und Inspiration gleichermaßen.

(plattes Wortspiel ? Ente?Ente im publizistischen Sinne, da Echtheit der Skizze umstritten)

Im 18. Jh. interessierten sich englische Ärzte für angelernte Fähigkeiten, die scheinbar ohne Bewusstsein ablaufen konnten – Gehen, Schreiben, Klavierspielen (gerade die Automatismen, die auch heute noch die größte technische Herausforderung darstellen).

Im 19. Jh. wurde der Automatismus-Begriff in Frankreich im Bereich der Psychopathologie aufgegriffen und auf Phänomene wie dem Somnambulismus, also dem Ausführung komplexer Handlungen im Schlaf (Roche Lexikon) - oder auch als „Schlafwandeln“ bekannten Symptom, angewendet.

Die Psychoanalyse ist seit Freud von der Verwendung technischer, das heißt mechanischer, elektronischer und hydrodynamischer Modelle und Metaphern durchdrungen. Der „psychische Apparat“ und „Widerstand“ fallen kaum noch als Begriffe auf, die ursprünglich aus der techne stammen. Selbst der eher linguistisch arbeitende Jaques Lacan greift, wenn er zum Beispiel die Arbeit des Psychoanalytikers mit der eines Ingenieurs in einem Wasserkraftwerk vergleicht, auf eben diesen terminologischen Werkzeugkasten zurück.

Deleuze und Guattari schließen in ihren Werken diese Tradition an, um sich gleichzeitig parasitär an sie anzulagern und sie stören. Was Schmidgen als das Maschinenvokabular von Deleuze und Guattari bezeichnet, ist ein heterogenes, schwer greifbares Vokabular, das sich einer hermeneutischen Lektüre zu entziehen droht, wenn nicht gar aktiv entgegenstellt.

Funktionsweise von Metaphern

Doch bevor dieses störende Moment einer näheren Betrachtung unterzogen wird, bedarf eines einer erneuten Untersuchung der Funktionsweise einer Metapher. Kanonisch argumentiert übertragen Metaphern Bezeichnungen und Beschreibungen eines Gegenstandes auf einen anderen, der konventionell von diesem verschieden ist, ihn aber einfacher oder mehrfacher Hinsicht ähnelt. Dabei wird der mit der Metapher bezeichnete Gegenstand auch und gerade aus der Perspektive der Metapher betrachtet, die in der Regel einfacher strukturiert ist und daher einen komplexen Gegenstand vereinfachen oder ein übergeordnetes Modell zur Anstrengung weiterer Überlegungen errichten kann.

In unserem konkreten Fall werden Ausdrücke aus dem Bereich der Technik auf die Psychologie und deren periphere Disziplinen übertragen. Es wird also mit technischen Metaphern und Modellen als analogical domain gearbeitet. Das Psychische als target domain stellt den Gegenstandsbereich der Metaphernwirkung dar. Trotz dieser scheinbar vektoriellen Wirkungsweise der Metapher findet eine Interaktion im Prozess der Metaphorik statt. Der metaphorische Begriff muss bereits abgewandelt und nicht mehr wörtlich gemeint sein, und so orientieren sich technische Metaphern in psychischen Diskursen eher weniger an konkreten technischen Artefakten als vielmehr an abstrakten, schwer greifbaren Maschinen und Automaten. Diese idealtypischen Gebilde geben den Raum für dehnbare Vorstellungen frei, statt mit einem detaillierten technischen Wissen einherzugehen oder dieses vorauszusetzen.

Zwischen den technischen Metaphern und den nicht-technischen Vorstellungen besteht eine fortwährende Wechselbeziehung – die einen bilden ab, was von den anderen nicht erfasst wird. (Seele als Reaktion auf Automatismus, nicht-technischer Anteil der Psyche…)

Der Gegensatz von Organismus und Mechanismus dient als Leitdifferenz der psychologischen Diskurse. Auch heute wird in fast jeder Grundsatzdebatte auf das Oppositionspaar Mensch und Maschine rekurriert.

Gegenseitige Beeinflussung statt binärem Dualismus

Was aber geschieht, wenn die analogical domain der Technik in die psychologische Theoriebildung mit einbezogen wird? Im paradoxen Term „machine désirante“, der Wunschmaschine, wird eine Brücke über den Dualismus von Mechanismus und Organismus geschlagen. Einen Ansatzpunkt zum Verständnis der Möglichkeit dieser Brücke bringt eine begriffshistorische Betrachtung der „machina“ nach Blumenberg. Mit dem Begriff der machina, so Blumenberg, kann nicht beliebig in der Geschichte des Denkens operiert werden, da er eine fundamentale hermeneutische Wandlung durchlaufen hat. So verstand man früher unter dem Begriff ein „komplexes, zweckgerichtetes, aber in seiner Zweckmäßigkeit nicht ohne weiteres durchsichtiges Gebilde, auch eine Veranstaltung dieser Art: ein listiges Manöver, ein betrügerischer Trick, eine verblüffende Wirkung“. Diese Bedingung konnte sowohl ein technischer Lastentransporter, als auch eine Theaterbühne als Ort der Verblüffung erfüllen.

Begriffshistorie

In der Antike widersprach die machina folglich nicht organischen Grundvorstellungen und so findet sich beispielsweise bei Platon ein Nebeneinander von Organischem und Mechanischem, das aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar ist. Der uns selbstverständliche Dualismus der Leitvorstellungen ist jedoch historisch bedingt und die „Maschine“ wird erst im Zusammenhang neuzeitlicher Technisierung zu einem prägnanten Programmwort der Weltdeutung, einer das Organische in seiner seelenbedingten Eigenwesentlichkeit bestreitenden Metapher.

Bei dem postmodernen Gespann Guattari/Deleuze taucht ein prämodern geprägter Begriff wieder auf. Ob dies einen ironischen Zug annimmt, wie Schmidgen darstellt, sei dahingestellt – fasst man die Postmoderne nicht als Entwicklungsstufe im marxistischen Sinne auf, sondern als …

Maschinen bei Deleuze und Guattari sind nicht nur technische Objekte, sondern eine „funktionierende Anordnung von heterogenen Teilen, als laufendes Arrangement, das auch technische Objekte umfassen kann“.

Rezeptionsgeschichte

Die Rezeptionsgeschichte weist Deleuze und Guattari eine paradoxe Kritik zu. Während seitens der Psychoanalyse und Philosophie Devitalisierung des Wunsches und eine destruktive, wenn nicht protofaschistische Angleichung an die subjektlose Maschine konstatiert wird, geht den Sozialwissenschaftlern die Autonomie des Wunsches als maschinelles Produkt einer gesellschaftlichen Determinierung nicht weit genug. Auf der einen Seite der Vorwurf des mechanistischen Reduktionismus, auf der anderen Seite der nicht ausreichenden Formbestimmtheit des Wunsches. In beiden Fällen, so Schmidgen, wird nicht der Versuch unternommen, den Widerspruch „auszuhalten“.

Stil

schwer zu fassender, „unwissenschaftlicher“ Stil
orale Prägung – „Ich“, indirekte und direkte Rede
Schmidgen: Schwachpunkt? – da hermetischer Verschluss, Ablenkung vom Inhalt, aber dennoch auch Visualisierung der Theorie

Zusammenfassung

Ausgangspunkt: These: „Alles ist Maschine“. - Alles kann aus seinem aktuellen Zusammenhang herausgelöst und in seinem Funktionieren betrachtet werden.

Der Psychoanalyse wird unter anderem eine fortwährende, strukturalistische Reduktion vorgeworfen. Alles wird als ein Zeichen angesehen, das auf andere Zeichen verweist. Autoritätsschwierigkeit ? Vaterproblem
Das prozesshaft Unbewusste wird auf eine Struktur reduziert

Die psychoanalytische Maschine, sagt Deleuze, sei dazu da, „die Bedingungen eines echten Aussagens zu unterdrücken. Was auch immer du sagst, wird in einer Art Mühle, eine Art Interpretationsmaschine gezogen, und der Patient kann nie zu dem kommen, was er wirklich zu sagen hat.“

Gegenthese: Das Unbewusste kein Problem der Bedeutung, sondern des Gebrauchs: wer Maschinen verstehen will, muss wissen, wie sie funktionieren.
Ihr Thema ist das Funktionieren, der Bauplan, und nicht Hermeneutik und Interpretation.

Mit ihrer Kritik an der psychoanalytischen Reduktion auf den Ödipus lassen sich Guattari und Deleuze klar dem Poststrukturalismus zuordnen, der sich grundsätzlich gegen eine Rückführung von Phänomenen auf ein einheitliches Prinzip wendet.




 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quellen

 

  • Henning Schmidgen „Das Unbewußte der Maschinen : Konzeptionen des Psychischen bei Guattari, Deleuze und Lacan“, München 1997